Frieden

Kaum jemand konnte sich vorstellen, dass im 21. Jahrhundert in Europa der Krieg zurückkehren würde. Dass sich auch die Friedensbewegung getäuscht hat, als es um die Frage der Einschätzung der Invasion Russlands in die Ukraine ging, ist nur allzu menschlich. Viel eher habe ich Respekt vor ihrem Eingeständnis: Mit einem derart entfesselten und von jeder Humanität losgelösten Angriff durch Machthaber Putin konnten die meisten außenstehenden Beobachter nicht rechnen. Und selbstredend war es nur allzu richtig, auch bis zum Schluss auf Diplomatie zu setzen.

Dass der Kreml dem Westen derart offen ins Gesicht lügt, ist eine bittere Erkenntnis, die wir aber nicht erahnen konnten. Sicher vermochten Insider den steigenden Realitätsverlust des Despoten in Moskau und seine Unberechenbarkeit zu vermuten. Schlussendlich ist es aber Aufgabe einer pazifistischen Gesellschaft und Politik, bis zuletzt für eine gewaltlose Lösung zu werben. Gutgläubigkeit und Naivität kann man insofern uns allen vorhalten, die wir an Ethik und Moral festgehalten haben und an völkerrechtliche wie zwischenstaatliche Vereinbarungen und Selbstverständlichkeiten nach dem Kalten Krieg glaubten. Nicht nur für die Staatenlenker des Westens ist es eine zutiefst bedrückende Einsicht, dass wieder einmal ein Anführer in der Welt allen Konsens gebrochen und zivilisatorische Grundsätze über Bord geworfen hat.

Bundeskanzler Scholz spricht von einer Zeitenwende – und damit verbunden ist auch ein Umdenken. Alle, die sich für Verständigung eingesetzt haben, müssen heute debattieren, ob sich die Hoffnung auf ein friedliches Miteinander in Luft aufgelöst hat und die Vision von einer Versöhnung unter den Menschen auf den Boden der Tatsachen zurückgefallen ist. Kritisch wird zu diskutieren sein, inwieweit Zuversicht durch die Realität eingeholt wurde. Hilflosigkeit drücken aber auch Versuche, weiter auf Frieden zu bauen, aber keinesfalls aus. Viel eher hinterfragen sie, inwieweit die Arbeit für den Pazifismus künftig von mehr Pragmatismus geprägt sein muss.

Es ist allerdings nicht vordergründig der Auftrag der Zivilgesellschaft, politische Antworten zu geben. Stattdessen ist es nur allzu konsequent, auch weiterhin an Utopien festzuhalten, die Kompass für alle Friedenswilligen sein müssen und nicht nur auf eine Zeit nach Putin blicken, sondern auf die Überwindung von Krieg und Gewalt durch das Miteinander aller Menschen des bestens Willens vertrauen. Im Augenblick ist es eine rationale, gleichsam für jeden Pazifisten vollkommen unbefriedigende Feststellung, dass wir angesichts der neuerlichen Offenbarung eines menschlichen Tyrannen nur mit reaktionären Reflexen handeln können. Da ist es eine allzu verständliche Panikreaktion, aus dem eigenen Sicherheitsbedürfnis heraus nach mehr Verteidigung zu schreien.

Die Herausforderung für die Friedensorganisationen wird es sein, diese Maschinerie der Aufrüstung mit einem klaren Bekenntnis zu den eigenen Idealen zu durchbrechen. Wer, wenn nicht sie, können und müssen auch im Angesicht von Leid und Pein aus Überzeugung gegen die Barbarei ankämpfen. Protest und Solidarität sind keine leeren Worthülsen, sondern haben in der Geschichte bereits Waffen zum Schweigen gebracht. Standhaftigkeit statt Verzweiflung, Mut zum weiteren Dialog und Gewissheit um das Unbesiegbare des Guten: Derartige Zeichen und Signale erwarte ich von uns allen!

Bildquelle: pixabay.com/…/taube-frieden-fliegend-ölzweig-41260

Autor: Dennis Riehle (Kontakt: [email protected])