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Nächste Runde im Nahostkonflikt

Die Worte „Hamas“, „Gazastreifen“ und „Waffenruhe“ waren in den vergangenen Monaten gewiss keine Seltenheit auf den Nachrichtensendern und in den Zeitungen des deutschsprachigen Raums. Seit der Gründung des Staats Israel an der östlichen Mittelmeerküste 1948 konnte nie wirklich von Frieden in der Region gesprochen werden. Unter Ex-Premierminister Benjamin Netanyahu, der zuletzt zionistische Regierungsambitionen hegte, schien ein erfolgreicher Friedensprozess ausgeschlossen. Mit dem Machtwechsel hin zu einer Mitte-Rechts-Regierung unter Naftali Bennet und Yair Lapid gab es zunächst neue Hoffnung, dass der Konflikt weitgehend beigelegt werden könnte. Doch ist dauerhafter Frieden ein realistisches Szenario oder ist die neue Regierung doch nur ein falscher Alarm?

Quelle: Wikimedia Commons.

Bereits vor der Ära Netanyahus hat der damals noch neue Staat Israel Ansprüche geltend gemacht, die weit über die ihm durch den UN-Teilungsplan für Palästina zugewiesenen Territorien hinausgehen. Diese Ansprüche decken nicht nur weite Teile des eigentlich palästinensischen Gebiets ab, sondern auch Teile Ägyptens, Syriens und dem Libanon – also jene Gebiete, die zum biblischen Staat אֶרֶץ יִשְׂרָאֵל (Eretz Israel) gehört haben sollen. Auf dieser Idee eines jüdischen Staats fußt der sogenannte Zionismus, den sich sowohl Netanyahus Partei Likud als auch Bennetts HaYamin HeHadash auf die Fahne geschrieben haben. Daher scheint es umso unwahrscheinlicher, dass sich unter Naftali Bennett etwas in der Palästinapolitik Israels ändern würde. Einziger Hoffnungsträger ist hier Yair Lapid, der mit seiner Partei Yesh Atid einerseits eine säkulare Regierung erreichen will (wodurch das religiöse Motiv des Zionismus untergaben würde) und andererseits für eine Zwei-Staaten-Lösung wirbt. Ziel dabei ist das Fortbestehen des Staates Israel unter der Koexistenz mit einem unabhängigen Staat Palästina – wobei sich hier die Frage stellt, ob andere Lösungen nicht ebenfalls in Erwägung gezogen werden sollten.

Neben dem Teilungsplan der Vereinten Nationen gibt es selbstverständlich noch die utopischen Vorstellungen, das gesamte Gebiet, das Israel und die Palästinensischen Autonomiegebiete (PAG) umfasst, vollständig für eine der beiden Seiten einzunehmen. Doch sollte Israel die PAG vollständig einnehmen, ist eine Retourkutsche der umliegenden arabischen Staaten durchaus denkbar, wobei im Szenario einer Übernahme Israels durch die Palästinenser beziehungsweise Araber möglicherweise eine Intervention der Westmächte mit sich ziehen würde – zugegebenermaßen doch ein eher unwahrscheinliches Szenario. Die derzeit wahrscheinlichsten Szenarien hingegen wären entweder die Aufrechterhaltung des Status Quo (Israel als souveräner Staat, Palästina als „Autonomiegebiete“) oder die oben genannte Zwei-Staaten-Lösung. Aktuell erkennen 139 der 193 UN-Mitgliedsstaaten, also mehr als zwei Drittel, Palästina als Staat an. Schaut man sich alle Länder auf einer Karte an, wird auffällig, dass fast die gesamte westliche Welt Palästina nicht anerkennt. Im Jahr 2014 einigte sich das EU-Parlament auf die Anerkennung Palästinas unter der Bedingung, dass ein Friedensabkommen beschlossen würde. Da dieser Vorschlag bereits sieben Jahre zurückliegt, ist es offensichtlich, dass Palästina nicht aufhören wird zu kämpfen, ehe es Unabhängigkeit erlangt.

Eine auf Demonstrationen oft gesehene binationale Flagge Israel–Palästinas. — Quelle: Wikimedia Commons.

Abgesehen von den oben genannten Teilungsszenarien existieren noch zwei Möglichkeiten, die das Gebiet Israels und der PAG einen, statt sie zu trennen. Diese Szenarien unterscheiden sich hauptsächlich in der Frage, ob es sich dabei um einen Einheitsstaat oder einen föderalen Staatenbund handeln soll. Die Problematik hierbei stellt sich bereits bei der Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel aus dem Jahr 1948: „Accordingly we […] hereby declare the establishment of a Jewish state in Eretz-Israel, to be known as the State of Israel.“ [Hervorhebung K.E.] (dt.: „Dementsprechend erklären wir hiermit die Errichtung eines jüdischen Staats in Eretz Israel, genannt Staat Israel.“). Im Falle eines israelisch-palästinensischen Einheitsstaats würden alle Palästinenser in das Staatssystem eingegliedert und den israelischen Staatsbürgern gleichgestellt werden. Israel würde seine Identität als jüdischer Staat aufgeben, was mit Sicherheit nicht im Sinne der israelischen Regierung und Bevölkerung sein wird. Eine Lösung, die die oben zitierte Stelle nicht verletzen würde, wäre ein israelisch-palästinensischer Staatenbund oder eine Konföderation. In diesem Fall träten die beiden Staaten nach außen hin als ein Land auf, blieben aber per se autonom – wodurch der Staat Israel weiterhin als jüdischer Staat bestehen bliebe und die Palästinenser einen eigenen Staat erhielten. Eine Win-Win-Situation, also? Nicht unbedingt. Ein Aspekt, der schon ein gemeinsames Auftreten nach außen hin schwer denkbar macht, ist die Frage, wer den Staatenbund repräsentiert. In der aktuellen Lage ist es möglich, dass die Palästinenser sich ungerne von einem Israeli repräsentieren lassen würde und umgekehrt. Selbiges gilt für die Staatsführung auf konföderaler Ebene: Wie werden die Ämter des Staats- und Regierungschefs verteilt? Wie sähe ein gemeinsames Parlament aus?

Eine schrittweise Annäherung beider Seiten ist hier die sinnvollste Lösung. Heißt also, dass beide Staaten auf verschiedenen politischen Ebenen schrittweise Bündnisse aushandeln und so sukzessiv eine Sozialunion, Währungsunion, Sicherheitsunion, etc. miteinander eingehen, bevor sie einen Staatenbund etablieren und die gemeinsame Staatsgewalt auf gemeinsame Institutionen delegieren. Bei der Aushandlung dieser Bündnisse kommt die internationale Gemeinschaft ins Spiel: In einem derart festgefahrenen militärischen Konflikt ist Diplomatie die einzige Möglichkeit, irgendeine Art der Einigung überhaupt erzielen zu können. Aus offensichtlichen Gründen gehört die Sicherheit des israelischen Staats zur Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland, nichtsdestotrotz kann die Regierung das Blutbad im Gazastreifen oder den völkerrechtswidrigen Siedlungsbau in den PAG nicht länger tolerieren und muss – gemeinsam mit anderen Staaten wie den USA oder dem Vereinigten Königreich – beide Seiten an den Verhandlungstisch bringen. Jedoch vor allem unter einer von Naftali Bennett geführten Regierung scheint jegliche Art an Lösungsansätzen vergeblich, da, wie es in einem Artikel von Al Jazeera heißt, der israelisch-palästinensische Konflikt nicht gelöst werden könne, sondern durchgestanden werden müsse. Auch dass er alles in seiner Macht tun würde, um einen palästinensischen Staat in Israel zu verhindern, gibt ebenfalls wenig Anlass zur Hoffnung. Hoffnungsträger ist hier der alternierende Premierminister Yair Lapid, der Naftali Bennett zur Hälfte der Legislaturperiode ablösen soll, dessen Partei Yesh Atid einen Frieden in Nahost anstrebt, indem „zwei Staaten für zwei Völker“ errichtet werden.

Naftali Bennett (r.) und Yair Lapid (l.) zusammen mit Ex-Staatspräsident Reuven Rivlin (m.) im Juni 2021. — Quelle: Wikimedia Commons.

Nach 73 Jahren Krieg und Terror dürfte beiden Seiten und der westlichen Welt klar sein, dass dieser Konflikt zwischen den Israelis und den Palästinensern nicht mit militärischen Mitteln gewonnen und erst recht nicht (wie Premierminister Bennett behauptete) ausgesessen werden kann. Wenn auch eine langfristige Lösung unter Naftali Bennett aussichtslos scheint, kann es nur im Interesse seiner Regierung sein, das Blutbad in ihrem beanspruchten Staatsgebiet zu beenden. Im Gegensatz zu Ex-US-Präsident Trumps „Deal des Jahrhunderts“ ist es unabdingbar, Palästinenser aus dem Gazastreifen und dem Westjordanland ebenfalls an den Verhandlungstisch zu bringen anstatt sie zu übergehen. Ebenso ist es unumgänglich, dass Palästina zunächst von der westlichen Welt überhaupt als Staat anerkannt wird, um erstens eine Zwei-Staaten-Lösung überhaupt erreichen zu können und zweitens Verhandlungen auf Augenhöhe zwischen beiden Parteien zu ermöglichen – denn langfristiger Frieden kann nur mit einer gerechten, diplomatischen Lösung erreicht werden.

Kevin Effertz


Quellen

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