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Homogenisierung der Bildung: Wenn Geld mehr zählt als Wissen

Oftmals wird man von Anderen belächelt, wenn man sich (wie ich) dazu entscheidet, ein sogenanntes „Orchideenfach“ zu studieren. Auf die Antwort zur Frage, was man denn studiere, ist die erste Reaktion meist „Was ist das denn?“, gefolgt von der Frage, was man denn damit machen wolle. Es existiert scheinbar eine Grunderwartung, entweder eine Ausbildung zu machen oder ein „vernünftiges“ Studienfach zu studieren, damit man später einen „vernünftigen“ Beruf ausüben kann. Die Gewichtung innerhalb der akademischen Lehre scheint sich also bereits so weit in Richtung Profit verlagert zu haben, dass solche Studiengänge, die zunächst keinen praktischen Nutzen zu haben scheinen, immer weiter verdrängt werden.

Ob das Fach Sozialwissenschaften aus dem Lehrplan wirklich entfernt wird bleibt unklar. — Quelle: Flickr (© Mehdi Rahmati)

Erst Anfang dieses Jahres gab es in Nordrhein-Westfalen heftige Debatten um eine mögliche Abschaffung des Unterrichts- und Lehramtsstudienfach Sozialwissenschaften zugunsten des Fachs „Wirtschaft/Politik“, in welchem – wie die Anordnung der beiden Begriffe im Namen bereits andeutet – der ökonomische Aspekt stärker in den Vordergrund gerückt werden soll, während politische und vor allem soziologische Aspekte vernachlässigt werden. Es ist nicht gerade überraschend, dass eine schwarz-gelbe Landesregierung mit einer FDP-Schulministerin die Wirtschaft im Bildungsraum Schule immer höher gewichten will als kultur- und geisteswissenschaftliche Unterrichtsfächer. Obwohl sich das Land NRW für ideologiefreie Schulen einsetzt, ist es genau das, was dieser Gesetzesentwurf der Landesregierung nicht ist: ideologiefrei. Vielmehr scheint es so, als würde die Landesregierung versuchen, die Schüler:innen noch vor ihrem Abschluss bereits in Richtung Wirtschaft zu lenken, damit eine zukünftige Wählerschaft von CDU und vor allem FDP gesichert ist. Zudem leidet gerade aufgrund der Vernachlässigung politischer und soziologischer Bildung die Kompetenz des gesellschaftskritischen Denkens, das im Fach Sozialwissenschaften vermittelt werden soll; ganz zu schweigen von der politischen Bildung, der in einem Fach „Wirtschaft/Politik“ fast keinerlei Relevanz mehr zugeschrieben würde. Was würde ein:e 18-Jährige:r fast ohne gesellschaftskritische Einstellung oder politische Bildung, aber dafür wirtschaftlich kompetent, also bei seiner/ihrer ersten Wahl also wahrscheinlich wählen? Zusammen mit dem Unterrichtsfach wird, wie erwähnt, ebenfalls das Studienfach Sozialwissenschaften auf Lehramt eingestellt. Zwar könnten Studierende ihr Studium beenden, jedoch könnten sie ihr studiertes Fach an Schulen nicht unterrichten – die, die letztendlich von den Änderungen betroffen wären, werden also übergangen.

Gerade nach dem von CDU und FDP im nordrhein-westfälischen Landtag, trotz zahlreicher Proteste von Seiten der Studierenden, durchgedrückten Hochschulgesetz war es zu erwarten, dass sich die Landesregierung von Armin Laschet nun auch über das Schulsystem an weiterführenden Schulen hermachen will. Das mit dem Wintersemester 2019/2020 in Kraft getretene neue Hochschulgesetz war der erste (in der Theorie gelungene) Plan, jungen Menschen Werdegänge madig zu machen, die zunächst keinen Nutzen für die Wirtschaft oder den Staat bergen. Bezüglich dieses Hochschulgesetzes gibt es vier Hauptpunkte, weshalb es als eine gezielte Offensive gegen Studierende aufgefasst werden kann. Die erste Änderung ist die Abschaffung des Verbots der Anwesenheitspflicht des früheren Hochschulgesetzes der rot-grünen Landesregierung, wonach Universitäten nun die Freiheit gegeben wird, selbst zu entscheiden, ob auch Lehrveranstaltungen wie Vorlesungen oder Grundlagenseminare mit einer Anwesenheitspflicht belegt werden sollen. Dies ist vor allem problematisch für die Studierenden, die beispielsweise arbeiten müssen, um sich ihren Lebensunterhalt während der Studienzeit zu verdienen, oder sich um ein Kind kümmern müssen. Darüber hinaus steht es den nordrhein-westfälischen Hochschulen nun offen, ob sie Studienbeiräte oder die Mitsprache der Studierenden im Hochschulsenat erlauben wollen oder nicht. Das gesetzlich verankerte Selbst- und Mitbestimmungsrecht der Studierenden in vielerlei Kontexten wurde von der Landesregierung, in anderen Worten, abgeschafft.

Was ebenso abgeschafft wurde, ist die sogenannte „Zivilklausel“, die besagt, dass an den Hochschulen Nordrhein-Westfalens keine militärische Forschung betrieben werden darf. Sollte dies nun wieder möglich sein, könnte die Bundeswehr beziehungsweise das Bundesministerium der Verteidigung die Forschung in bestimmten Bereichen finanziell fördern. Allerdings werden die Hochschulen nicht nur von der Bundesregierung für militärische Forschung finanziert, sondern auch von ausländischen Investoren, wie beispielsweise der US-amerikanischen Rüstungsindustrie. Finanziert werden dadurch vielerlei Bereiche der Naturwissenschaften und des Ingenieurwesens, aber auch Psychologie oder Sportwissenschaften liegen im Fokus der Militärforschung. Zwar ist Militärforschung per se nicht abwegig, da neue Erkenntnisse ebenfalls im Zivilbereich oder bei Friedensmissionen der Vereinten Nationen genutzt werden können, allerdings können derartige Forschungsergebnisse auch missbraucht werden, sollten sie in die falschen Hände geraten. Zu guter Letzt gehen Studierende mit ihrer Einschreibung an einer Hochschule eine Art Vertrag mit der Hochschule ein, der die Studierenden dazu verpflichten soll, ihr Studium innerhalb eines bestimmten Zeitfensters (wie etwa der Regelstudienzeit von ca. 6–8 Semestern) abzuschließen. Bei Nichtbeachtung dieser „Studienverlaufsvereinbarung“ sollen Studierende im Endeffekt sanktioniert werden, deren Ausmaß bis hin zur Zwangsexmatrikulation – also dem Rausschmiss aus der Hochschule – reichen kann.

Gebäude der WiSo-Fakultät der Universität zu Köln. — Quelle: Wikimedia Commons (© Raimond Spekking)

Die Motivation, die hinter diesen Gesetzesänderungen steht, ist zunächst eine ganz einfache: Die Hochschulen sollen mehr Entscheidungsfreiheit genießen und folglich soll der Einfluss des Landes minimiert werden. Ebenso soll durch bindende Studienverlaufspläne die Studienabbrecherquote verringert werden. Im Endeffekt bedeuten die vorgesehenen Änderungen jedoch ausschließlich mehr Freiheit für Hochschulen, nicht aber für die Studierenden. Nicht zu Unrecht warnte der Vize-Fraktionsvorsitzende der AfD im NRW-Landtag Helmut Seifen vor einer „marktwirtschaftlichen Ausrichtung der Hochschulen“. Als Student sogenannter „Orchideenfächer“ (die Rede ist von den Fächern Skandinavistik und Romanistik) erlebe ich selbst, wie sich diese Ausrichtung bemerkbar macht: An der Universität zu Köln werden vom Institut für Skandinavistik/Fennistik derzeit fünf nordeuropäische Sprachen angeboten: Dänisch, Schwedisch, Norwegisch, Isländisch und Finnisch. Jede davon kann im Bachelor als Studiensprache gewählt werden – allerdings, aufgrund mangelnder finanzieller Mittel, nur drei davon im Master. Wenn man also eine der beiden Sprachen als Hauptsprache wählt, die nicht mehr im Master vertreten sind, wird es schwieriger, inhaltlich überhaupt mitzukommen. Überdies wurde bereits im Sommersemester 2019 darüber spekuliert, dass die beiden Sprachen, die nur im Bachelor angeboten werden, gänzlich abgeschafft werden sollen. Bereits im Jahr 2018 sollten einige Lehrbeauftragte des Romanischen Seminars gekündigt werden, deren Verträge jedoch aufgrund hohen Widerstands der Studierenden verlängert wurden. Mangels finanzieller Mittel werden Mitarbeiter entlassen, wodurch weniger Studierende gelehrt werden können, was unterm Strich dazu führt, dass die Zulassungsbeschränkungen (z. B. der sogenannte „Numerus Clausus“) angehoben werden müssen. Führt man diesen Gedankengang weiter, würden weniger Studierende (bei ohnehin schon geringen Studierendenzahlen) einen Studiengang belegen, wodurch sich dieser Studiengang irgendwann nicht mehr rentieren wird. Erst kürzlich plante die Universität Göttingen die Einstellung des Studiengangs Skandinavistik, was ebenfalls nach Widerstand und Demonstrationen der Studierenden wieder verworfen wurde. Weniger Erfolg hatte der Widerstand gegen die Schließung der Abteilung für Osteuropäische Geschichte der philosophischen Fakultät der Universität zu Köln, woraufhin ebenfalls die Juniorprofessur für Türkische Sprache und Kultur aufgrund zu dem Zeitpunkt anhaltender Sparmaßnahmen gestrichen werden sollte. Obwohl Schulen und Universitäten ein ideologiefreier Raum sein sollen, machen die geplanten und teilweise bereits umgesetzten Novellierungen durchaus an manchen Stellen den Anschein, dass sie zum Teil durchaus ideologisch-motiviert sind beziehungsweise waren.

Gerade in weiterführenden Schulen ist es essentiell, dass Schüler:innen zwar Werte und Ethik vermittelt werden, ihnen aber darüber hinaus zugleich die Kompetenz angeeignet wird, ihre eigene Meinung und ihr eigenes Weltbild zu konstruieren. Damit dies gelingt sind vor allem politische Bildung und gesellschaftskritisches Denken notwendig, nicht jedoch tiefgehende wirtschaftliche Kompetenzen. Zwar gibt es genügend Aufholbedarf, was die Lehrinhalte an Schulen angeht – so benötigen wohl die Wenigsten in ihren späteren Laufbahnen die Polynomdivision oder Gedichtsanalysen -, allerdings ist die Abschaffung eines teilweise so grundlagenvermittelnden Schulfachs zweifelsohne der falsche Ansatz. Ebenso ist es der falsche Ansatz, Studierenden das Studienleben schwer zu machen, um die Studienabbrecherquote oder die Anzahl der “ewigen Studenten” vermeintlich zu reduzieren. Ein weiterer Aspekt, der beim Diskurs über die stetig steigenden Studierendenzahlen erwähnt wird, ist der akute Mangel an Arbeitskräften und Auszubildenden in Handwerksberufen oder in der Pflege. Damit mehr junge Menschen sich für eine Laufbahn in diesen Bereichen entscheiden, statt eines Studiums, müssen diese Berufe zunächst weitaus attraktiver gestaltet werden, wie beispielsweise durch bessere Arbeitsbedingungen oder eine höhere Vergütung (siehe Tariflöhne oder Anhebung des Mindestlohns in diesen Berufen).

Der Titel dieses Artikels ist eine Anlehnung an den Artikel “Orchideenfächer: Wenn Wissen mehr zählt als Geld” von Spiegel aus dem Jahr 2017. Bereits dort wurde erwähnt, dass man “als Geisteswissenschaftler […] für wirtschaftliche Unternehmen schwer einsetzbar” sei. Ähnlich des bekannten Prinzips L’art pour l’art (= ‘Kunst um der Kunst Willen’) gilt für “Orchideenfächer” (oder gar Geisteswissenschaften im Allgemeinen) das Prinzip “L’éducation pour l’éducation” – Bildung um der Bildung Willen. Zwar scheinen sie auf den ersten Blick für die Wirtschaft und den Staat nicht rentabel, sind aber zugleich unabdingbar sowohl für die Wirtschaft als auch den Staat und nicht zuletzt die Gesellschaft und Kultur, seien es nun Sprachwissenschaftler, Historiker oder Philosophen. Darüber hinaus scheinen viele zu vergessen, dass das Lehramt für eine Vielzahl an Fächern aus Geistes- oder Kulturwissenschaften hervorgeht, wie zum Beispiel die Fächer Deutsch, Geschichte, sämtliche Fremdsprachen oder eben Sozialwissenschaften.

Anstatt die Geistes-/Kulturwissenschaften zunehmend zu marginalisieren, sollten diese auch weiterhin fester Bestandteil der Bildungslandschaft in weiterführenden Schulen und Universitäten bleiben, damit es eben nicht zu einer Homogenisierung der Bildung und folglich einem Überangebot an Absolvent:innen der Betriebswirtschaftslehre, Informatik oder Maschinenbau kommt. Nicht ohne Grund werden die Universitäten und Schulen als “Keimzelle der Demokratie” bezeichnet; ein Status, der durch Wegfallen politischer Bildung oder den Geisteswissenschaften in Gefahr gerät – ebenso wie der Pluralismus, auf dem die Demokratie der Bundesrepublik Deutschland, dem europäischen Kontinent und der ganzen Welt basiert.

Kevin Effertz


Quellen

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